25.07.2024

Chronik

Zollhäuser Obergurgl

über 80 Jahre vielfache Nutzung

Alexander Maria Lohmann

Kurz nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Österreich im Jahre 1938 wurden bereits Pläne für entsprechende Häuser für den Grenzschutz gezeichnet. Diese sollten mit Amtsräumen und Beherbergungsmöglichkeiten ausgestattet sein. Um die Grenze lückenlos abzusichern, wurden in der Gemeinde Sölden insgesamt 13 Zollhäuser erbaut, jeweils vier Gebäude in Sölden, Vent und Obergurgl, dazu eines in Zwieselstein. Aus heutiger Sicht ist die Anzahl der Häuser vielleicht etwas unverständlich, doch dabei gilt zu bedenken, dass in den Kriegs- und Folgejahren des 2. Weltkrieges der Personenverkehr üblicherweise zu Fuß von statten ging und die Gemeinde eine lange Grenze zu Südtirol bzw. Italien hat. Die Grenzübergänge waren in Sölden die Windachscharte, das Timmelsjoch, in Gurgl das Rotmoos-, Königs- und Gurgler Eisjoch und in Vent das Nieder- und Hochjoch. Anders ausgedrückt reichte die Zuständigkeit der Beamten auf einer Länge von 92 km vom Wilden Pfaff (3.456m) bis zur Zinne (3.334m, liegt bereits knapp im Kaunertal). Zu den Häusern im Tal kamen noch kleinere Zollgebäude direkt an den genannten Übergängen dazu. Diese dienten der kurzfristigen Versorgung und zur Übernachtung während der Streifendienste im Gebirge. Die Übergänge waren lediglich im Sommer „geöffnet“, was an entsprechenden Tafeln deutlich erkennbar war. Dennoch musste die Grenze natürlich ganzjährig überwacht werden.

Allgemein sind die Zollhäuser in Obergurgl an ihrem Baustil und an ihrer Anordnung als Zollhof relativ leicht zu erkennen, in Obergurgl liegen sie zudem recht prominent über dem Ort. Sie dienten vermutlich auch militärischen Zwecken, sei es als Beherbergung oder auch als Lager. Der Einzug der Beamten erfolgte umgehend, bemerkenswert dazu ein Zitat aus einem Schreiben des Leiters des Hauptzollamtes Landeck an den Oberfinanzpräsidenten in Innsbruck vom 17. August 1939:

Bei den abgelegenen ZASt. (G) in Vent, Obergurgl und Spiss werden vielfach unverheiratete Beamte beschäftigt werden müssen. Es hat sich schon jetzt die Dringlichkeit nach Ledigenzimmern ergeben. Ferner muss berücksichtigt werden, dass der anstrengende Hochgebirgsdienst nur von jungen kräftigen Beamten versehen werden kann, die allen an sie gestellten Anforderungen gewachsen sind, diese sind in der Regel aber noch nicht oder zumindest kinderlos verheiratet.“

Allgemein liegen für die Zeit der Nutzung durch die Zollwache leider nur sehr wenige Dokumente vor. Nach dem Krieg nutzten zum Teil auch die Besatzungsmächte die Gebäude, ebenso Beamte der sogenannten „B-Gendarmerie“, diese sollten nach dem Ende der Besatzungszeit die Exekutive in Österreich bilden.

1950 wurden drei leerstehende Häuser der Universität Innsbruck übertragen und es begann eine neue Ära in Obergurgl. Prof. Burger gründete die Alpine Forschungsstelle Obergurgl (AFO) mit dem Bundessportheim (BSH) im Jahre 1951 und leitete beide Bereiche bis 1959. Aufgabe war, Alpinismus, alpinen Schilauf und Wissenschaft im Hochgebirge zu lehren. Bereits in dieser Anfangszeit waren Hörsaal, Bibliothek und Laboratorien vorhanden. Rund 80 Wissenschaftler und Studenten aus dem In- und Ausland aus den verschiedensten Disziplinen sollten beherbergt werden und bestmögliche Bedingungen vorfinden. Die angebotenen Sommerkurse auf wissenschaftlichem und sportlichem Gebiet waren sehr gefragt. Aber auch bezüglich der Infrastruktur wurden neue Wege gegangen. So ist beispielsweise die – vermutlich erste – Trinkwasserversorgung Obergurgls für das „Heim“, wie es liebevoll über 50 Jahre hindurch genannt wurde, errichtet worden. Aus sportmedizinischer Sicht wurde Höhentraining in Obergurgl bereits in den 1950er Jahren wissenschaftlich untersucht. Nicht nur Wintersportler, auch Sommersportler wie Leichtathleten, Schwimmer, Fechter, Ballsportler und viele mehr trainierten in der Höhe Obergurgls.

1959 wurde die Führung der beiden Bereiche getrennt. Für das Bundessportheim war fortan mit Prof. Hoppichler einer der letzten großen Schipioniere Tirols verantwortlich, er führte bekanntermaßen Ausbildungskurse für Schilehrer, Bundesheer und Gendarmerie ein. Wahrscheinlich weniger bekannt ist die Tatsache, dass der Breitensport, unter anderem der Schulsport und die Ausbildung von Lehrern, nicht weniger Gewicht hatten. Die heiminterne Schischule war eine perfekte Vorbereitung für die staatliche Schilehrerprüfung. Spätere Heimleiter waren Dr. Peter Scheiber (1967-1974) und Mag. Wolfgang Aste (1974-2002). Während international die Art der österreichischen Sportförderung mit den Bundessportheimen kopiert wurde, ging hierzulande die Ära dieser Einrichtungen im Jahr 2002 zu Ende.

Die Alpine Forschungsstelle wurde lange Zeit von Kuratoren der Uni Innsbruck geleitet, danach, von 1970 – 1979, vom gebürtige Längenfelder Prof. Walter Moser. Einigen ist er vielleicht eher bekannt als der Gründer des Forschungsstützpunktes am Hohen Nebelkogel (3.211m) unweit der Hochstubaihütte, damals Europas höchstgelegene ökologische Station. Maßgeblich verantwortlich zeichnete er auch für die Teilnahme am UNESCO-Programm „Mensch und Biosphäre“ (MAB). Aus diesem Programm erwähnt sei eine Studie aus den 1970er Jahren über die Wichtigkeit des Schaftriebes der Transhumanz. Nach damaligen Berechnungen sind die tausenden in den hinteren Tälern weidenden Schafe Garant dafür, dass die hochalpine Vegetation in der bekannten Beschaffenheit erhalten bleibt und nicht in wenigen Jahren verschwindet. Nachfolger Mosers wurde der Prof. Gernot Patzelt, vielen bekannt durch seine spannenden Vorträge im Hinteren Ötztal.

Noch heute untersuchen die Wissenschaftler weitgehend dieselben Bereiche wie zu Beginn der Forschung vor gut 70 Jahren. Zoologen, Geologen, Botaniker, Bodenkundler, Klimatologen, Geographen, Mediziner, Glaziologen, Hygieniker, Geophysiker, Mikrobiologen, Mineralogen und Physiker, aber auch Volkskundler, Soziologen und Historiker sind in Obergurgl für die Wissenschaft tätig. Die alpine Forschungsstelle ist gegenwärtig mehr denn je eine wichtige Außenstelle der Universität Innsbruck. Kongresse, Tagungen, Kurse und Lehrveranstaltungen finden auch für internationale Partner statt. Anders als das Bundessportheim ist der Betrieb des Universitätszentrums bis heute aufrecht geblieben und auch baulich sichtbar erweitert. worden

Für den Fortbestand des Universitätszentrums sprechen neben dem ausgezeichneten Renommee und den mehr als 26.000 Nächtigungen pro Jahr auch der Wille der Universität Innsbruck, sich an der Betreibergesellschaft des „Gurgl Carat“ zu beteiligen.

Wolfgang Santer Chronist

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